Zur Psychoanalyse des Krieges

Betrachtungen aus aktuellem Anlass

Robert Heim

4/6/2024

Wir erinnern uns des alten Spruches: […]

Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege.

Es wäre zeitgemäß, ihn abzuändern: […]

Wenn du das Leben aushalten willst,

richte dich auf den Tod ein.

Sigmund Freud

Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915)

Sie können sich aber leicht denken, wie ich gerade zur Wahl dieses Themas geleitet worden bin. Es ist eine Folge des schrecklichen Krieges, der in dieser Zeit wütet und uns allen die Orientierung im Leben raubt.

Sigmund Freud

Wir und der Tod (1915)[1]

1. »Sich auf den Tod einrichten«. Freuds Ethos des gewagten Lebens

Über den Krieg zu sprechen, musste auch für Freud heißen, vom Tod nicht schweigen zu können. Mit seiner Empfehlung, sich auf den Tod selbst in Zeiten des Friedens einzurichten, spricht Freud als weltlicher Ethiker einer individuellen Eschatologie: »Was du auch tust, denke an dein Ende […]«, wie es im griechischen Alten Testament der Septuaginta hieß und in der rö-mischen Antike als Memento mori tradiert wurde. Doch wusste Freud, dass einem einzelnen Menschen mit diesem Rat eine zu schwere Bürde auferlegt würde. Niemandem ist zuzumuten, ständig an sein Ende zu denken; es wäre mehr Befehl eines sadistischen Über-Ichs. Und sollte es jemand wirklich tun, wäre es eine pathologische Besessenheit, ein schwer gestörtes Zeiterleben eines Zwangskranken oder eines Melancholikers. – Die folgenden Betrachtungen verstehen sich als Kommentar zu Freuds Leitmotiv aus »Zeitgemäßes über Krieg und Tod«, dann als Ergänzung zu den Arbeiten von Gerhard Schneider und Anna Leszczynska-Koenen (vgl. Schneider 2023; Leszczynska-Koenen 2023).

Was für den einen das Leiden an der Zeit ist, ist für den anderen die Freiheit der Kunst und mit ihr eine spielerische Art, sich auf den Tod einzurichten. Der Berliner Künstler Jean-Remy von Matt konstruiert seit über 20 Jahren digitale Lebenszeituhren, auf denen nach ermittelter Lebenserwartung für ihre Besitzer die Frist ihrer Existenz im Sekundentempo verstreicht. Als sich DIE ZEIT am 30.11.2022 mit ihm unterhielt, blieben ihm um 16 Uhr 169.667.340 Sekunden; das Interview nahm 7200 in Anspruch. Solche Uhren sind von Matts ingeniöses Memento mori mit lebenspraktischer Maxime: »Die Uhr soll eine ständige Erinnerung daran sein, das Beste aus seinem Leben zu machen. Das heißt natürlich auch, dass man mit unwürdigen Zeitfressern Schluss machen sollte […] « (von Matt 2022). Das hört sich nach einem weiteren Diktat der Optimierung an, aber längst vor der digitalen Revolution war das bereits die Empfehlung des römischen Philosophen Seneca in seiner Schrift Von der Kürze des Lebens: Das Leben ist nicht zu kurz, sondern man verschwendet wertvolle Lebenszeit an unwesentliche Dinge.

Von Matts Lebensuhren erlauben ein Gedankenspiel: Im Kontrast zum Fehlen einer linearen Zeit in unbewussten Primärprozessen sind Analytiker:innen und Analysand:innen für den Verlauf einer Behandlung mit solchen Geräten ausgestattet. Die Zeit von Sitzung und Behandlung verrinnt im Sekundentakt, dies für beide in Relation zu ihrer Lebenszeit. Die Dauer der Behandlung, das subjektive Zeiterleben der beiden werden mit einem digitalen Rhythmus konfrontiert; zwei Lebenszeiten stoßen intersubjektiv aufeinander und prägen Übertragung und Gegenübertragung mit. Im Zuge der Digitalisierung ist die psychoanalytische Erfahrung, eine raumzeitliche Erfahrung in einer konstanten Raumordnung, multiplen Zeitdimensionen ausgesetzt, die zwei Lebensgeschichten in ihrer singulären Temporalität synchronisieren.

Hätte Freud seinen Rat noch weiter begründet, wäre er gezwungen gewesen, was genauer es heißt, sich auf den Tod einzurichten, und was er als klinisches Äquivalent dieser Empfehlung bestimmt hätte. In seinem Gesamtwerk gehörte Montaigne nicht zu den bevorzugten Autoren, aber es drängt sich in diesem Zusammenhang ein Titel aus den Essays auf, philosophieren heißt sterben lernen: »Berauben wir [den Tod] seiner Unheimlichkeit, pflegen wir Umgang mit ihm. […] Reißen wir uns dann zusammen, spannen wir die Muskeln!« (Montaigne 1998, S. 45ff.). Doch kann daraus gefolgert werden, auch psychoanalysieren hieße sterben lernen? Im Prinzip ja, aber jede Behandlung erfordert gleichzeitig, dass erst das Wagnis des Lebens angenommen werden muss. Denn genau dieses Wagnis findet sich in einer wenig beachteten Schlüsselstelle in Freuds Arbeit über Krieg und Tod. Die Philosophiegeschichte ist reich an Verbindungen zu Freuds Maxime eines Einrichtens auf den Tod, aus deren Fülle Hegels Klassiker in der Phänomenologie des Geistes von 1807 als heroischer Monolith herausragt.

»Der Tod […] ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, […] sondern er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei ihm verweilt« (Hegel 1973, S. 29).

Hegel hätte von Matts Lebenszeituhren begrüßt, weil sie Endlichkeit und Sterblichkeit täglich vor Augen führen und ihren Besitzern keine Zeit für Verdrängung und Verleugnung des Todes lassen. Das war ganz im Sinne Freuds, denn mit jedem Blick auf die Uhr wird dem Negativen ins Angesicht geschaut, wird das Verweilen bei ihm geschult. Nur zeichnet Hegel den Tod in einer Drastik (Furchtbarstes, Verwüstung, Zerrissenheit), als wäre der Blick auf die Lebenszeituhr ein Blick ins Antlitz einer Gorgo, mit dem – wenn man es psychoanalytisch übersetzen will – ein tyrannisches Über-Ich ein ängstliches Ich verfolgt. Ein Memento mori ist nicht mehr erforderlich, weil der Tod seine tägliche Macht demonstriert. Doch Freud betrieb keine Todesmetaphysik, sondern wollte ihn im Geiste Montaignes als elementare Lebenstatsache seiner Verleugnung entreißen. Vielmehr transformierte er Todesgewissheit in angstfreie Courage, indem er eine wenig diskutierte Maxime empfahl und sie in der Verfassung des Lebenstriebes verankerte: das Wagnis des Lebens, eine Apologie seiner riskanten Spielart.

Es ist kein Zufall, dass Freud inmitten eines Krieges zu dieser Maxime vorstößt, die er in Friedenszeiten kaum aufgespürt hätte. Sie ist nicht nur von allgemeinster Reichweite, sondern ein Leitmotiv, das jede Behandlung unabhängig von ihren klinischen Zielen begleitet: » […] unser Verhältnis zum Tode hat aber eine starke Wirkung auf unser Leben. Das Leben verarmt, es verliert an Interesse, wenn der höchste Einsatz in den Lebensspielen, eben das Leben selbst, nicht gewagt werden darf« (Freud 1915b, S. 343). Doch ließ Freud offen, wie sich dieses Wagnis mit den therapeutischen Zielen vermitteln lässt oder von ihnen geradezu gefordert wird, wenn sich etwa schwere Depressionen als Symptome einer Angst vor diesem Wagnis erweisen. Oft zeigt es sich in Entscheidungen, zu denen sich Patient:innen schließlich ermutigt fühlen: Er wird sich einer anderen Frau wegen scheiden lassen; sie will schwanger werden, auch wenn kein Mann an ihrer Seite ernsthaft zur Vaterschaft bereit ist; erst klandestiner Transvestit, entscheidet sich der Familienvater zu einer Geschlechtsumwandlung; sie, alleinerziehende Mutter, will mit 45 noch promovieren; er, der Musiker und Sänger, schlug als junger Mann gegen den Tenor seiner Familie – hohe Erwartungen an seine künstlerische Karriere – eine Professur für sein Instrument aus und entschied sich für seine Stimme als Countertenor, die ihm zwei Jahrzehnte später versagte und ihn auf eine prekäre Existenz als freischaffender Musiker zurückwarf. Der klinische Alltag ist reich an Zäsuren dieser Art, für die Lacan eine passende Formel bereithielt: Sich nicht eingestehen müssen, »abgelassen zu haben von seinem Begehren« (Lacan 1995, S. 380), weil ein Ablasshandel mit dem Über-Ich – Wenn Du von Deinem Begehren ablässt, werde ich Dich nicht bestrafen – nur zu stärkeren Schuldkonflikten und somit depressiveren Affekten führt. In seinen Forschungen zu den unbewussten masochistischen Anteilen der Depression beschrieb Stavros Mentzos ebenfalls ein ängstliches »Tauschgeschäft« mit dem Über-Ich: Dessen Liebe wird mit Unterwürfigkeit und Selbstbestrafung erkauft, worauf es mit seinen Forderungen nur umso härter reagiert (vgl. Mentzos 2001, S. 67ff.).

Doch sein Leben zu einem todesmutigen Wagnis erhöhen? Man mag dabei an vieles denken; exemplarisch etwa an Werk und Tragik der französischen Psychoanalytikerin Anne Dufourmantelle, die lebte, was sie dachte. Sie ertrank 2017 an der Côte d’Azur, nachdem es ihr gerade noch gelungen war, das Leben zweier Kinder in einem Sturm aus dem Wasser zu retten:

»Der Ausdruck ›sein Leben riskieren‹ gehört zu den schönsten unserer Sprache. Bedeutet er zwingend, dass man sich dem Tod stellt – und überlebt? […] Wie können wir [das Risiko] als Lebende vom Leben und nicht vom Tod her denken? Es stellt im Augenblick der Entscheidung unser innerstes Verhältnis zur Zeit auf die Probe. […] Sein Leben zu riskieren bedeutet womöglich in erster Linie, sich dem Sterben zu verweigern: einem Sterben zu Lebzeiten, durch verschiedene Formen des Verzichts, schleichende Depressionen und Aufopferung« (Dufourmantelle 2019, S. 27f.).

Man stieß auf solche Töne einer Ethik des Wagnisses noch zur Zeit Freuds in den 1930er Jahren, als der Exil-Russe Alexandre Kojève in Paris seine Vorlesungen über Hegels Phänomenologie des Geistes hielt (vgl. Kojève 1975). Kojèves Leitmotiv war der von Hegel beschriebene »Kampf um Anerkennung«, den der Frankfurter Sozialphilosoph Axel Honneth Jahrzehnte später zu einem eigenen theoretischen Schwerpunkt machte. Bei Kojèves Hegel ging es noch um eine Begierde als Triebkraft dieses Kampfes, die den Kampf um Anerkennung in seinem Kern als Kampf auf Leben und Tod bestimmte – also um jenen »höchsten Einsatz in den Lebensspielen« als Wagnis des Lebens selbst, das Freuds ethisches Credo ausmachte. Hegel und Kojève sprachen von der »Begierde«, die bei Freud zum Trieb und Triebwunsch, dann erst bei Lacan zum »Begehren« ausbuchstabiert wurde. Im französischen Original verschmolzen Begierde und Begehren im »désir«, auch wenn die Begierde eher eine Rohfassung des sublimeren Begehrens bleibt. Im Deutschen kann »désir« in Begierde und Begehren aufgefächert werden: Die erste trachtet gierig nach ihrem Objekt, das Letztere belässt es in einer Schwebe, drängt gar nicht so sehr auf Erfüllung, sondern schielt nach einem Mittler, der es ebenfalls begehrt und damit den Wert des Objekts in die Höhe treibt.

In der klassischen ödipalen Konstellation kommt dem gleichgeschlechtlichen Elternteil diese Funktion des Mittlers zu: Nur wenn der Vater die Mutter sexuell begehrt, gewinnt diese für den Sohn den Wert eines ödipalen Objekts; nur wenn sich die sexuelle Lust der Mutter auf den Vater richtet, wird sie zur Rivalin der Tochter um den ödipalen Vater. Der Ödipuskomplex ist eine Emergenz der elterlichen Sexualität, in deren phantasmatischen Raum bis hin zur Urszene das Kind unweigerlich hineingezogen wird. Deshalb ist erst eigentlich das Begehren intersubjektiv strukturiert, nicht schon die nackte Begierde etwa in ihrer frühen Oralität, in der sie buchstäblich noch Gier ist. Und deswegen bezieht sich das Begehren nicht allein auf deren rohe Objekte, die schnell und instantan konsumiert werden können, sondern auf einen Rivalen, auf das Begehren des Anderen.

Beim französisch-amerikanischen Kulturtheoretiker René Girard finden sich treffende Formulierungen für diese besondere Intersubjektivität, deren Triebkraft er das »mimetische Begehren« nannte: »Die Wendung in mein eigenes Inneres ist immer schon die Wendung zu einem anderen, zu einem Mittler, der meine Wünsche lenkt, ohne dass ich mir dessen bewusst wäre« (Girard 2014, S. 39). Auch Analytiker:innen nehmen passager die Position dieses Mittlers ein, um sie nach der Auflösung der Übertragung in eine neue Autonomie der Patient:innen zurückzugeben. Der Mittler enthält die Funktion einer Vermittlung, die das Denken über die Verschlungenheit zwischen innerer und äußerer Realität zuzuspitzen erlaubt: Das Innerste ist das Äußerste, das Äußerste ist das Innerste, die Pole bilden eine Extimität (extimité), wie Lacan diese Verdichtung nannte, einer seiner Neologismen, hier zwischen exteriorité und intimité. Dies war sein Kürzel für die Dialektik von innerer und äußerer Natur, seine Formel für das Verhältnis von Trieb, Individuum und Gesellschaft, auch wenn er nicht in diesen Kategorien der Kritischen Theorie dachte. Aber doch mit einer Affinität zu Adornos Hinweis, die Analyse stoße »paradoxerweise in den innersten psychologischen Zellen auf Gesellschaftliches« (Adorno 1970, S. 57) und zeige damit, dass »das Individuellste das Allgemeinste [sei]« (Adorno 1975, S. 50).

Selbst ein Faden aus Jean Laplanches allgemeiner Verführungstheorie lässt sich in diese Verdichtung einbinden: Weil Mutter und Vater Mittler der kindlichen Triebwünsche sind, gehen von ihnen die rätselhaften Botschaften aus, die das Kind in seinen eigenen Regungen und Erregungen sexualisieren. Es muss diese Botschaften mit unbewussten Phantasien übersetzen, in denen dem Mittler – für Girard ist er Vorbild und Hindernis zugleich – eine Schlüsselfunktion zukommt und dem sich das Kind mimetisch angleichen will, ohne ihm physisch und phallisch ebenbürtig sein zu können. Gegen jeden Subjektzentrismus in der Psychoanalyse heißt dies: Das Begehren des Anderen geht demjenigen des Selbst, zunächst schon transgenerativ, immer voraus. Aber nur mit diesem Primat des Anderen wird die Entwicklung des Selbst zu einem lebenslangen Kampf um Anerkennung, dessen Grundstruktur mit Hegel und Kojève als Kampf zweier »Begierden« um einen Wert, um die Anteile des Genusses eines geteilten Objekts definiert ist. Es dürfte für die heutigen, vor allem angelsächsisch geprägten relationalen und intersubjektiven Paradigmen der Psychoanalyse von Gewinn sein, sich dieser französischen Erbschaften vertiefter anzunehmen. Denn der Kampf um Anerkennung, wie ihn Hegel, Kojève oder mit seiner Inspiration Lacan konzipierten, bleibt auch für den psychoanalytischen Prozess ein anthropologisch grundlegenderes Modell.

Doch konnte Hegels »Begierde« noch nicht im Sinne von Freuds Triebtheorie bestimmt sein, auch wenn sie bereits intersubjektivistisch ausgelegt war; er ortet die Begierde erst als Quelle eines psychosozial ausdifferenzierten Selbstbewusstseins. Aber dieses Selbstbewusstsein gewinnt seine gereifte Gestalt und menschliche Würde erst, wenn es sich auf einen Zweikampf zwischen sich und dem Anderen einlässt. Es geht bei diesem Zweikampf um einen »Idealtypus« zwischen sozialer Interaktion und subjektivem Erleben im Sinne einer erkenntnislogischen Anregung Max Webers.[2] Ein Idealtypus erlaubt die Beschreibung einer Struktur von Objektbeziehungen, soweit diese einen »Kampf auf Leben und Tod« führen, ohne dass gleich Blut fließen oder er mit Prestige gekrönt werden muss. Mit Kojève von einem Kampf auf Leben und Tod zu sprechen, ist lediglich die polar gezeichnete Kulisse, vor der sich das gewagte Leben ereignet und gestaltet wird. Er kann durchaus mit friedlichen, zivilen Mitteln der sprachlichen und emotionalen Konfrontation geführt werden, als Ringen um die überzeugendere Wirksamkeit des kommunikativen Symbols. Der Kampf folgt bestenfalls klaren Regeln, die eine geteilte symbolische Mitte der Kombattanten voraussetzen oder zu ihr hinführen: Sprache, Konsens, Streit, Konflikt, Diskurs, Verhandlung, Vertrag, Frieden. Der Kampf auf Leben und Tod kann eine sportliche Angelegenheit sein und sämtliche menschlichen Lebenswelten prägen; Sexualität, Eros und Liebe zählen zu seinen Bühnen genauso wie die fluide gewordenen Geschlechterverhältnisse. Erst wenn er den malignen Kipppunkt des Hasses und der physischen Gewalt, des Ressentiments oder der Rache überschreitet, wird er zur destruktiven Macht, die im Krieg enden kann.

Das zivile Ziel bleibt eine erkämpfte Anerkennung und damit ein Grundgefühl der Bejahung des eigenen Selbstwerts, dessen wechselnde Besetzung seit der ersten Differenzierung zwischen Selbst- und Objektrepräsentanzen von Bedeutung bleibt. Stavros Mentzos arbeitete aus der langen Geschichte psychoanalytischer Theorien der Depression und affektiver Störungen eine Herabsetzung des Selbstwertgefühls als Konstante heraus. In seinem Modell des Dreifußes, ein Drei-Säulen-Modell mit runder Oberfläche, stellt er drei Formen der Regulation des Selbstwerts dar, die von einer stabilen, gesunden Fläche bis zu ihrer schmerzhaften, schließlich behandlungsbedürftigen Gestalt reichen: 1. Die drei Säulen stabilisieren eine narzisstische Homöostase der Selbstwert-Regulation, die hinreichend vor schwereren Depressionen und affektiven Störungen schützt. 2. Das Selbstwertgefühl wird gleichzeitig von äußeren realen und inneren guten Objekten reguliert. 3. Eine Destabilisierung der Statik des Dreifußes führt zu einer pathologischen Regulation des Selbstwertgefühls bei verschiedenen klinischen Bildern wie der Schulddepression, der Abhängigkeits-Depression, der Manie oder einer Erschöpfung in der »leeren« Depression (vgl. Mentzos 2001, S. 38ff.).

Es kann sich lohnen, solche klinischen Konzepte mit dem fundamentaleren Modell von Kojèves Kämpfen um Anerkennung zu verbinden, auch wenn es in den Stimmungen der Depression nicht gleich um Leben und Tod, aber oft genug um Suizid und Suizidgefährdung, um Lebens-Ekel und stationäre Notlösungen geht. Jede schwere Depression ist ein pathologischer Modus, sein Leben aufs Spiel zu setzen und es damit »auf den Tod einzurichten.« Die Reichweite des Modells ist nicht nur geeignet, klinische Phänomene mit unterschiedlicher Ätiologie abzudecken. Es bezieht sich auf die Entwicklungsdynamik von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, auf die Dramen und Konflikte in Familien, Liebe und Beruf, in Politik und Geopolitik; es deckt zugleich sämtliche Formen des Zweikampfes ab, deren fatale letzte in Grausamkeit, Krieg und Tod ausartet. Eine anthropologische »Urszene« in Kojèves Kommentar zu Hegels Kapitel »Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft« aus der Phänomenologie des Geistes fasst die Logik des Zweikampfs zusammen:

»Vom ›Ursprung‹ des Selbstbewußtseins sprechen, heißt also notwendig von einem Kampf auf Leben und Tod um die ›Anerkennung‹ reden. Ohne diesen Prestigekampf auf Leben und Tod hätte es auf Erden niemals menschliche Wesen gegeben. […] Das menschliche Wesen kann sich also nur konstituieren, wenn wenigstens zwei derartige Begierden einander entgegentreten. Und, da jedes dieser beiden […] bis zum Ende zu gehen bereit ist, das heißt bereit ist, sein Leben einzusetzen […], um sich vom anderen ›anerkennen‹ zu lassen, […] kann ihre Begegnung nur ein Kampf auf Leben und Tod sein. Und nur in und durch einen solchen Kampf erzeugt sich die menschliche Wirklichkeit» (Kojève 1975, S. 25).

Das liest sich genauso martialisch wie Hegels Thanatologie der Todesgewissheit, war aber als idealtypische Matrix gemeint, die in Zeiten des Krieges und des Friedens in verschiedener Hinsicht gilt. Entwicklungspsychologisch gesehen ist Hegels Selbstbewusstsein erst in der späten Kindheit, in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter herangewachsen. Man denke an die Kämpfe zwischen Geschwistern und Geschlechtern, an die Duelle in jugendlichen Peergroups oder in der wissenschaftlichen Forschung und Theoriebildung. Die Arenen dieses Kampfes um Anerkennung sind zahlreich, sie finden sich in der inneren psychischen und der äußeren sozialen Realität; immer aber ist es das Risiko des Lebens selbst, dessen Einsatz hoch veranschlagt wird: es könnte den seelischen, sozialen oder gar den physischen Tod erleiden.

In der Vortragsfassung von »Wir und der Tod« zögerte Freud nicht, sein Ethos des gewagten Lebens in Bildern des Kampfes zu formulieren: »Ich sage, das Leben verliert an Gehalt und Interesse, wenn der höchste Einsatz, eben das Leben selbst, in seinen Kämpfen [Hervorhebung …] ausgeschlossen ist« (Freud 1990, S. 42). Freud war nie derjenige, der mit seinen Triebtheorien das Leben in einer seichten Komfortzone sehen konnte, zu der es Konsumkapitalismus und Neoliberalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verflachen wollten. Und wenn er dies vor einem jüdischen Publikum sagte, wusste er, dass er aus der Erfahrung einer zweitausendjährigen Geschichte sprach. Freud plädierte also dafür, sein Leben als Wagnis auf sich zu nehmen, seinen »höchsten Einsatz« in die lebenspraktische Waagschale zu werfen. Es muss nicht auf den tragischen Spuren Antigones sein, die um eines zivilisatorischen Rituals willen ihr Leben aufs Spiel setzte, um es sich schließlich zu nehmen. Zumindest besteht im Anthropozän ein Wagnis des Lebens darin, die Lebensführung darauf zu prüfen, wohin sie ihr Gewicht in der Waage zwischen Schonung oder Zerstörung des Planeten legt.

Doch wo findet sich auf den Schauplätzen der Psychoanalyse der Zweikampf von »wenigstens zwei derartiger Begierden«, wie ihn Kojève noch dachte? In der Tat müssen solche Zweikämpfe nicht partout zwischen zwei getrennten Antagonisten ausgefochten werden. Mit ihren Topologien des psychischen Apparates kennt die Psychoanalyse innerpsychische Konflikte und Zweikämpfe, das Ich will das eine, das Es das andere, das Überich wiederum etwas Drittes – nur um in Freuds zweiter Topik die Zerrissenheit des Subjekts zu betonen. Zweikämpfe herrschen zwischen Trieb, Triebrepräsentanzen und Abwehr und führen zu den zahlreichen Symptomen. Auch in Lacans Topologie des borromäischen Knotens kämpfen die drei Ringe des Realen, Imaginären und Symbolischen um Vorherrschaft und Priorität; sie befinden sich kaum je in einer friedlichen Homöostase, die allenfalls in den brüchigen Kompromissen eines Symptoms erreicht wird. Man wird den Wechsel zwischen paranoid-schizoider und depressiver Position – Ps ↔ D – in der kleinianischen Psychoanalyse in genau diesem Sinne als Zweikampf reinterpretieren können. Gute und böse innere Objekte befinden sich in einem Konflikt, der nach einer Integration in der depressiven Position drängt. Ambivalenz ist ein Grundgefühl, an dem immer die Spuren eines Zweikampfs dieser Art haften. Im Doppelgänger-Motiv, einer wenig beachteten Facette in Lacans Spiegelstadium, befindet sich das Ich im paranoiden Duell mit seinem spiegelbildlichen Kontrahenten. Der Trieb, seine Begierden und sein Begehren sind auf die verschiedenen Instanzen der inneren Realität verteilt; sie führen topisch, dynamisch und ökonomisch, also nach den Gesichtspunkten von Freuds Metapsychologie, einen Kampf um Anerkennung, in dem das Ich gegen Es und Über-Ich meist einen schweren Stand hat. Hier von Wagnis zu sprechen, gilt in erster Linie für ein Ich, das sich einem Über-Ich gegenübersieht, das es als Imperativ entweder zu Risiken anstachelt, diese mit einem Verbot austreibt oder mit einem Ablasshandel korrumpiert.

Schließlich sucht das Es selbst, sozialpsychologisch gesehen ein mit eigenen Zielen ausgestatteter Akteur, mit seinen ungebundenen, frei flottierenden Triebregungen seine Anerkennung. Diese Suche ist der klinischen Erfahrung genauso vertraut wie der sexualwissenschaftlichen Forschung. So kann das Leben in der Spaltung zwischen sexueller Redundanz und erotischer Ausschweifung gewagt werden. Wie jedes kostbare Gut unterliegen Sex, Sexualität und Lust dem Gesetz des »abnehmenden Grenznutzens«, in der Wirtschaftsgeschichte nach Hermann Heinrich Gossen (1810-1858) als Gossensches Gesetz benannt. Wird dieses in einer unüblichen Wendung auf den ökonomischen Gesichtspunkt der Freud’schen Metapsychologie, im Besonderen auf die Intensität der sexuellen Befriedigung zugeschnitten, heißt dies: Je länger dieses libidinöse Gut in monogamen Beziehungen »konsumiert« wird, umso mehr nähert sich die Kurve seines Genusses asymptotisch einem Nullpunkt. Partner:innen trennen sich selbst im fortgeschrittenen Alter aus bestandenen Beziehungen, weil sich der erotische Reiz verflüchtigt hat und seine Erregungskurve diesem Nullpunkt zuneigt. Neue Reize – andere Frauen, andere Männer, Prostitution, Pornografie, sexuelle Phantasien, Perversionen in Realität und Internet – können stärker sein als die gemeinsamen Sicherheiten mit ihrer gewachsenen Vorgeschichte. Ein altersloses »Sensation seeking« des Es, das die Konstanz in der Gleichgewichtsökonomie des Lustprinzips destabilisiert: Meist ist dies die sexuelle Triebkraft in jeder Trennung und Scheidung, die den Eros der Bindung von innen auflöst und die Sicherheit einer Lebensform riskiert.

In der Geschichte der Psychoanalyse geht die strukturelle Spaltung zwischen Liebe und Erotik auf Freuds »Beiträge zur Psychologie des Liebeslebens« zurück. Jüngst hat Dagmar Herzog nachgewiesen, dass sich die US-amerikanische Nachkriegs-Psychoanalyse in ihren Debatten wiederholt um diese Spaltung drehte: »Wo sie lieben, begehren sie nicht, und wo sie begehren, können sie nicht lieben« (Freud 1912d, S. 82) – so seine knappe Formel für dieses verbreitete Dilemma. Um es zu lösen, fragte Robert Stoller 1976 nach den Rätseln der sexuellen Erregung und sah diese zwischen erotischen Phantasien und libidinöser Empfindung in einem Balanceakt als »komplizierte Justierung von Sicherheitsbedürfnissen und Risikobereitschaft« (vgl. Herzog 2023, S. 99). Noch vor Stoller suchte auch Lacan nach einem Ausweg aus diesem Dilemma, indem er das Spektrum der sexuellen Erregung mit einem Gleiten zwischen Lust (plaisir) und Genießen (jouissance) erweiterte. Mit seinem Beharren auf Konstanz und Homöostase ist das Lustprinzip letztlich Garant der Sicherheitsbedürfnisse, das Genießen dagegen »wagt« den riskanten Exzess über die im Grunde konservative Ökonomie der Lust hinaus.

In seiner Meditation über Krieg, Sterben und Tod sieht Freud das Leben nahezu existenzialistisch unter den Gesichtspunkten des Spiels und der Entscheidung, von Entwurf, Einsatz und Wagnis. Doch allein schon der Einsatz kann Symptom einer Sucht sein. Ist es in Friedenszeiten die Fiktion, bei deren Helden sich paradoxerweise »jene Mehrheit von Leben [findet], deren wir bedürfen«, holt für ihn der Krieg diesen Surplus in das real gelebte Leben zurück. Denn mit dem Krieg »[ist] [dieses] freilich wieder interessant geworden, es hat seinen vollen Inhalt wiederbekommen« (Freud 1915b, S. 344). Aber das war für Freud die eine Seite eines Vexierbildes, auf dessen Gegenseite das interessante Leben wieder gewagter werden darf, ohne sich in extremis in einem Krieg zu opfern. Der volle Inhalt des Lebens soll vielmehr den Helden der Fiktion entwendet, in ein eigenes selbstbestimmtes überführt und dort dennoch riskiert werden. Freud wollte 1915 dieses Wagnis unter den Schutzschirm des Lebenstriebes stellen, der in stabilen Demokratien seine förderlichste Umwelt besitzt, nicht in den Dienst seiner Antagonisten, die es in die Falle der Selbstdestruktivität locken.

2. Krieg als Zweikampf. Psychoanalytischer Pazifismus und der Kampf um Thymos

1795 erläuterte Immanuel Kant in der Einleitung seines Entwurfs Zum ewigen Frieden seine Titelwahl. Auch für ihn war ein ewiger Friede nur in der Grabesruhe zu finden. So blieb sein rechtsphilosophischer Versuch, rationale Bedingungen eines Friedens zwischen Menschen, Völkern und Nationen zu klären, eine aufgeklärte Mahnung, immer das Memento mori vor Augen zu halten.

»Ob diese satirische Überschrift [Zum ewigen Frieden] auf dem Schilde jenes holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war, [für] die Menschen überhaupt, oder besonders die Staatsoberhäupter, die des Krieges nie satt werden können, oder gar nur die Philosophen gelte, die jenen süßen Traum träumen, mag dahin gestellt sein« (Kant 1964, S. 195).

Kants Friedensschrift hatte 1932 ein fernes Echo in einem Dialog zwischen Albert Einstein und Freud über die ungelösten Fragen nach Ursachen und Verhütung des Krieges. Freuds Antwort zeichnete sich bereits 1915 ab: Solange es weltweit keine Gerechtigkeit zwischen Nationen, Völkern und Kulturen gibt, solange chronische Konflikte zwischen ihnen herrschen, werden Kriege unausweichlich sein. Auch wird die völkerrechtswidrige Aggression Russlands gegen die Ukraine, wird das Massaker der Hamas gegen Israel das psychoanalytische Denken über Krieg und Frieden wieder lange beschäftigen. Eine wehrhafte Demokratie, von deren Stärke die Psychoanalyse lebt, muss heute wieder »kriegstüchtig« sein; eine auf unabsehbare Zeit für den freudianischen Pazifismus schwer erträgliche Paradoxie. Zu gern hätte er sich in einer Welt eingerichtet, in der das Prinzip »Frieden schaffen mit immer weniger Waffen« herrscht. Aber auch er hat Kants »süßen Traum« nie geteilt.

Spätestens mit der russischen Aggression wird die Psychoanalyse Abschreckung und legitime (Verteidigungs-)Kriege wieder gutheißen können; eine Haltung, die man schon beim erklärten Pazifisten Freud aufspüren mag. Schließlich schrieb seine Maxime, sich auf den Tod einzurichten, wenn das Leben ausgehalten werden soll, den Spruch des römischen Strategen Flavius Vegetius um: Si vis pacem, para bellum. Freud war nie ein Mann der Illusionen: »Der Krieg ist aber nicht abzuschaffen; solang die Existenzbedingungen der Völker so verschieden und die Abstoßungen unter ihnen so heftig sind, wird es Kriege geben müssen« (Freud 1915b, S. 354). Für ihn blieben Kriege auf unbestimmte Zeit eine Notwendigkeit, gegen die eine reine pazifistische Gesinnung nicht ankommt. Selbst eine »Diktatur der Vernunft« nicht, die er 1933 nur im Konjunktiv als »utopische Hoffnung« noch in die beginnende Tragödie zwischen Vernunft, Aufklärung und Barbarei brachte (vgl. Freud 1933b, S. 24). Deswegen konnte für Freud ein gerechter Krieg nicht tabu bleiben, selbst wenn er seine Antwort auf Einsteins Fragen zu seiner Verhütung im Bekenntnis einer »konstitutionelle[n] Intoleranz [bei uns Pazifisten]« (Freud 1933b, S. 27) gegen ihn ausführte.

Angesichts der Brutalität Russlands und der Bestialität der Hamas wird der pazifistisch gesinnte Freudianer zustimmen, dass für Frieden und Sicherheit Aufrüstung notwendig ist und von Vernichtung bedrohte Demokratien in jeder Hinsicht entschlossene Unterstützung brauchen. Freud hielt seine Antwort an Einstein in genau demselben Ton der Enttäuschung über die Kultureignung und Friedfertigkeit des Menschen wie bereits 1915 in »Zeitgemäßes über Krieg und Tod«. Wenn wie in der Ukraine internationales Recht mit Gewalt zerstört wird, gewinnt eine Gegengewalt ihre Legitimität, um dieses Recht wiederherzustellen. Aber Recht ist wie das Heilige nur die sublime, zivilisatorisch erklommene Höhe einer elementaren Gewalt, gegen die eine regulative Gerechtigkeit und eine gesinnungsethische Friedensliebe allein nicht ausreichend schützen; sie erfordern die entschlossene Verantwortungsethik einer international vernetzten Rechtsstaatlichkeit. Krieg ist die extremste Krise dieser Sublimierung, die an ihrem katastrophalen Ende in Trümmer und unzählige Tote zerfällt. Ein psychoanalytischer Pazifismus kann nie ambivalenzfrei sein, weil er einen schwerwiegenden Rechnungsfehler bedenken muss:

»So scheint es also, daß der Versuch, reale Macht durch die Macht der Ideen zu ersetzen, heute noch zum Fehlschlagen verurteilt ist. Es ist ein Fehler in der Rechnung, wenn man nicht berücksichtigt, daß Recht ursprünglich rohe Gewalt war und noch heute der Stützung durch die Gewalt nicht entbehren kann« (Freud 1933b, S. 19).

Auch am Recht bleibt eine Blutspur roher Gewalt haften; als kostbares zivilisatorisches Gut bleibt es vulnerabel und von dieser Gewalt jederzeit bedroht. Freud ließ offen, wie diese Gegengewalt am aussichtsreichsten vorgeht und ob sie sich wiederum in einem Krieg manifestieren muss. Jedenfalls wird sie die zivile Diskursmacht des zwanglosen Zwangs des besseren Arguments oder die pazifistischen Friedenssymbole kompensieren müssen. Wie »Zeitgemäßes über Krieg und Tod« ruft »Warum Krieg?« nach einer historischen und theoretischen Aktualisierung. Einsteins zwei Vorlagen waren im Wesentlichen: »Gibt es einen Weg, die Menschen von dem Verhängnis des Krieges zu befreien? […] Im Menschen lebt ein Bedürfnis zu hassen und zu vernichten.« Freud beantwortet die Fragen mit seiner gewohnten Skepsis, indem er dieses Bedürfnis mit dem Antagonismus seiner Triebtheorie begründet: Der Bindekraft eines mythologischen Eros, die von der Sexualität über die sozialen Ligaturen von Familie, Institutionen und Staaten bis zum Völkerbund und zur späteren Uno reicht, stehen die Großmächte von Aggression und Todestrieb, von Destruktion und Selbstvernichtungstrieb gegenüber. Dabei ist jedes Recht lediglich eine geregelte Sublimation von Gewalt.

Krieg ist Gewalt, die durch Recht gezähmt werde muss. In einer Genealogie des Rechts weist Freud nach, dass Recht und Gewalt keine Gegensätze bilden, sondern sich »das eine aus dem anderen entwickelt hat« (Freud 1933b, S. 13). Er rekonstruiert die evolutionäre Entwicklungslogik von der stärkeren Muskelkraft in der archaischen »Menschenhorde« über das raffiniertere Werkzeug bis zur Waffe, die erst die Tötung eines Feindes ermöglicht. Montaignes Ironie, die Muskeln anzuspannen, wenn man sich mitten im Leben auf den Tod einrichten möchte, gewinnt hier einen fatalen Doppelsinn: In seiner Materialität ist der Krieg eine mit Waffengewalt operierende technische Prothese angespannter Muskelkraft, die nicht sportlich ein befristetes Leben gut erhalten möchte, sondern Tod und Vernichtung bringt. Gegen Schluss seiner Abhandlung und im Rückblick auf den 1. Weltkrieg findet Freud eine Formulierung, die direkt an das Ende von Das Unbehagen in der Kultur anknüpft: Hier war es noch eine »Schicksalsfrage der Menschenart […], der Störung des Zusammenlebens durch den menschlichen Aggressions- und Selbstvernichtungstrieb Herr zu werden« (Freud 1930a, S. 506). Für diese Vernichtung bräuchte es überdies eine – 12 Jahre später bis zur Atomkraft hochgeschraubte – »Beherrschung der Naturkräfte«, die das apokalyptisches Szenario zumindest denkbar werden lässt, »einander bis zum letzten Mann auszurotten« (ebd.).

In seiner Replik auf Einstein wiederholt Freud diese Ahnung, nämlich »daß ein zukünftiger Krieg infolge der Vervollkommnung der Zerstörungsmittel die Ausrottung eines oder vielleicht beider Gegner [Hervorhebung …] bedeuten würde« (Freud 1933b, S. 25). Zum selben Zeitpunkt, zu dem Kojève in Paris mit seinen Vorlesungen über die Phänomenologie des Geistes beginnt, verdichtet Freud die Wirren eines Krieges exakt im idealtypischen Sinne zu einem Zweikampf. Und wenn es eine psychoanalytische Kriegsforschung, ja eine eigene Theorie des Krieges gibt, dann wird sie um eine historisch-kritische Lektüre von Carl von Clausewitz‘ Klassiker, den posthum erschienenen Vom Kriege, nicht umhinkommen.

Tatsächlich war es der preußische Offizier (1780-1831), der die Zuspitzung des Kriegsgeschehens auf die Abstraktion eines Zweikampfes brachte: »Wir wollen hier nicht erst in eine schwerfällige publizistische Definition des Krieges hineinsteigen, sondern uns an das Element desselben halten, an den Zweikampf. Der Krieg ist nichts als ein erweiterter Zweikampf« (Clausewitz 2005, S. 15). Der Zweikampf ist das Elementare des Krieges, unabhängig davon, wie, wo und zwischen wem er wütet. Freuds Vision eines »zukünftigen Krieges« setzt die von Clausewitz bestimmte Minimaldefinition des Zweikampfs voraus: Zwei Gegner treffen aufeinander und ringen, auch wenn sie Koalitionen finden, nicht nur um Sieg und Niederlage. Sie treten, so wäre Freud zu ergänzen, in einen Zweikampf um Anerkennung ein. Die Vision knüpft mit ihrem Menetekel einer reziproken Vernichtung der Gegner zwischen den Zeilen an eine weitere Charakteristik des Krieges bei Clausewitz an. Bleibt eine gegenseitige Anerkennung in Friedensverhandlungen aus, droht eine »Wechselwirkung« der Vernichtung. Der Krieg treibt seine potenzielle Eskalation auf eine Spitze des »Äußersten«: »Der Krieg ist ein Akt der Gewalt und es gibt in der Anwendung derselben keine Grenzen; so gibt jeder dem Andern das Gesetz, es entsteht eine Wechselwirkung, die, dem Begriff nach, zum Äußersten führen muß« (S. 18). In der Weltgeschichte der Kriege ist dieses Äußerste auf zahllosen Schlachtfeldern dokumentiert; in der Geschichte der Kriege im 20. Jahrhundert führte das Äußerste zur Singularität der Shoah und zu den Atombomben auf japanische Städte. Im noch jungen 21. Jahrhundert deutete sich das Äußerste im islamistischen Terror auf Ziele des Westens und auf Israel an; im Ukraine-Krieg zählt es inzwischen Hunderttausende von Toten, Verletzten und Gewaltopfern.

In diesem ungewohnten Dreieck zwischen Freud, Kojève und Clausewitz wird der Krieg zu einem entgleisten Zweikampf um Anerkennung, in der die »Begierde« des einen diejenige des anderen unterwirft oder gänzlich vernichtet. Oder eben beide sich auslöschen. Der Pariser Hegel-Exeget und Clausewitz inspirieren die Psychoanalyse zu einem Paradigma, in dem die Zweikämpfe der inneren Realität und der psychosozialen Entwicklung mit den Zweikämpfen in Gesellschaft und Geschichte wie in einer Doppelhelix ineinander verschlungen sind, in der sie entweder in eine gegenseitige Anerkennung münden oder scheitern. Das Ausmaß des Scheiterns kann bis zum Äußersten eskalieren. In der inneren Realität umfasst das Äußerste ein breites Spektrum der Selbstdestruktivität: maligne Persönlichkeitsstörungen, selbstschädigende Neurosen, schwere affektive Störungen, Suizid, in den der Kampf um Anerkennung einen der Kontrahenten treibt. Das kann ein sadistisches Über-Ich als böses Objekt sein, das das Ich als Hüter des Lebenstriebes zerstört. Führt diese Zerstörung in die Selbsttötung, werden beide Gegner vernichtet. In der äußeren Realität eskalieren gewaltsame Konflikte und Kriege zum Äußersten, wenn zivilisatorische Standards regressiv unterschritten werden. Oder eben mit Freud gesagt: Recht in seine genealogische Herkunft aus roher Gewalt zerfällt.

Um es noch einmal mit Lacans Verdichtung zu beschreiben: Die Zweikämpfe sind extim, bilden die Pole des Innersten und des Äußersten, verteilen sich mit derselben Logik auf die Intimität des Innersten und die Exteriorität einer äußeren und historischen Welt. Wenn für den Pazifisten Freud noch lange mit Kriegen zu rechnen ist, werden auch sie auf eine Legierung von evolutionärer DNA, historischem Kontext und soziokulturellem Auslöser zurückzuführen sein. Aber Freud wollte noch nicht an ein mörderisches Kriegs-Gen denken, auch wenn er, der kritische Genealoge des Sublimsten der menschlichen Kultur, dieser 1915 inmitten eines Krieges ein miserables Zeugnis ausstellte: »Die Urgeschichte der Menschheit ist denn auch vom Morde erfüllt. Noch heute ist das, was unsere Kinder in der Schule als Weltgeschichte lernen, im wesentlichen eine Reihenfolge von Völkermorden« (Freud 1915b, S. 345). Es ist bemerkenswert, dass Freud hier von Völkermord spricht, lange bevor dieser juristisch 1948 zu einem Straftatbestand im Völkerstrafrecht statuiert wurde.

Die Antworten, die Freud Einstein bis auf seine Hypothesen zur Aggression, Gewalt und Destruktivität schuldig blieb, sind mit den Idealtypen des Zweikampfs und des Kampfes um Anerkennung noch einmal anders zu gewichten. Ebenso müssen ältere einschlägige Überlegungen zum Krieg (vgl. Passett & Modena 1983; Money-Kyrle 2022) auf dem heutigen Stand überarbeitet werden. Einen interessanten Ansatz für entsprechende Korrekturen bieten die Forschungen zur Kriegsgeschichte des britischen Politikwissenschafters Richard Ned Lebow. Hier nämlich taucht der Begriff des Selbstwerts wieder auf, um den Kojève zwei Begierden miteinander um Anerkennung kämpfen ließ, um den sich aber auch die Dreifuß-Modelle von Stavros Mentzos zu Stabilität und Störungen der narzisstischen Selbstwert-Regulation drehten. Lebow grenzt sich von zwei rationalistischen Erklärungen ab: 1. Kriege werden als Eroberungskriege geführt, um andere Länder mit ihren Ressourcen auszubeuten sowie imperiale Macht und Einfluss zu erweitern. Das waren die klassischen Territorialkriege. 2. Kriege werden aus Gründen der Sicherheit und Bedrohung des eigenen Staates als Präventionskriege geführt. In seinem Buch Why Nations Fight, einer Untersuchung von Kriegen zwischen Staaten seit dem 17. Jahrhundert, gelingt es Lebow, eine dritte Hypothese zu bekräftigen (vgl. Lebow 2010; Schilliger 2022): Die meisten Kriege lassen sich als Resultat von Kränkungen analysieren. Nicht nur einzelne Menschen sind von einem Streben nach Anerkennung getrieben, sondern auch Nationen, Imperien und revisionistische Mächte, die nach ihrem Fall diese Anerkennung wieder anstreben – nötigenfalls mit Gewalt, Aggression und Krieg.

In Lebows Argumentation trifft der erste Punkt am Rande durchaus auf Putins Russland zu. Doch stellt er das Grundmotiv der schweren Kränkung eines postsowjetisch deklassierten Rumpfzustandes ins Zentrum, dessen verlorene imperiale Größe Putin, getrieben von Revanchismus, Ressentiment und Rache, wiederherstellen will. Lebow denkt somit die prioritäre Kriegsursache in Kategorien einer in Putins Entourage virulenten Affektökonomie, deren klinisches Äquivalent der Psychoanalyse vertraut ist, vor allem in paranoiden Persönlichkeitsstörungen oder im eskalierenden, von Melanie Klein beschriebenen Circulus vitiosus der paranoid-schizoiden Position. Auch maligne Formen des Zwangscharakters folgen einer Logik von Ressentiment und Rache. Und wenn Lebow das Streben nach Anerkennung dieser Motivlage hinzufügt, wird deutlich, wie der klinische Begriff der Selbstwert-Regulation im gesunden oder pathologischen Narzissmus hier als Heuristik ins Spiel kommt. Für Lebow sind Kriege exzessive Folgen einer kollektiven historischen Selbstwert-Problematik. Im Falle von Russland spielt eine paranoide Mentalität unübersehbar eine Schlüsselrolle, weswegen auch der zweite Kriegsgrund des Kremls, die groteske Rationalisierung, er reagiere auf eine bedrohliche Nato-Erweiterung sowie gegen eine Regierung aus Nazis und Faschisten in Kiew, entfällt. Russland befindet sich in einem wahnhaften Zweikampf: gegen die Nato, gegen die USA, gegen einen dekadenten Westen.

Es ist kein Zufall, wenn der deutsche Russland-Experte Michael Thumann genau diesen Nexus von Kränkung, Revanche und Rache ebenfalls aufgegriffen hat (vgl. Thumann 2023). Für Thumann ist es ein Irrtum, Kränkung nur als psychische Befindlichkeit zu sehen, lediglich als Störung in der narzisstischen Regulation des Selbstwerts; sie ist für ihn weit mehr eine primäre Ursache für Gewalt – im Innersten der Psyche wie auf den Bühnen der Weltgeschichte. Für Putin ist obida [das russische Wort für Kränkung], so Thumann, der politisch-emotionale Treibstoff seines Krieges gegen die Ukraine. Genau um diese politisch-emotionale Wirksamkeit geht es Lebow in seiner historischen Analyse von Kriegen; auch neuere psychoanalytische Arbeiten weisen die kollektive Macht von Gefühlen in Geschichte, Politik und Gesellschaft nach, darunter der toxische Gefühlskomplex des Ressentiments (vgl. Fleury 2023; Wirth 2023). Mit der antiken Semantik des Wortes bemüht Lebow für die Psychohistorie dieses Treibstoffs den Thymos, das überlieferte Wort für Ehre, Würde, Stolz und Sehnsucht nach Anerkennung.

Es ist nicht einfach, das griechische Thymos nahtlos in psychoanalytische Begriffe zu übersetzen; es liegt auf einer Schnittfläche zwischen gesundem und pathologischem, destruktivem Narzissmus, in dem das Selbst gleichzeitig mit libidinöser und aggressiver Energie besetzt ist. Es kämpft nicht nur, das hat die Erbschaft von Kojève gezeigt, um seine Selbsterhaltung, sondern um seinen Anerkennungswert in einer inneren und sozialen, intersubjektiv strukturierten Realität. Dieser Wert entspricht einer narzisstischen Qualität der Selbstrepräsentanz, deren thymotische Störungen, also Störungen, die von Mentzos‘ Modell der Selbstwert-Regulation abgedeckt sind, in der ICD-Diagnostik durch Zyklothymia oder Dysthymia nur unvollständig erfasst sind.

Auf der Rückseite von emotional modulierten Werten wie Ehre, Würde oder Stolz rumoren Kränkungen, Demütigungen und Revanchismus, die nach einer langen Inkubationszeit des Ressentiments im Affekthaushalt einer Nation zum Krieg führen. Deshalb ist auch für Lebow der Thymos die politisch-emotionale Triebkraft, die Putin und seine Machtelite seit zwei Jahrzehnten antreibt. Gleichsam zwischen den Zeilen sondiert Lebow die narzisstischen Quellen kriegerischer Aggressivität, zeichnet deren lange Linie aber bis auf den antiken Thymos zurück. Eine Bedrohung des Selbstwertgefühls führt zur Infragestellung des eigenen Status, die Angst und mit ihr ein paranoides Weltbild mit seinen Spaltungen nach sich zieht. Lebow beruft sich zudem auf Max Weber, der den Thymos mitschwingen ließ, wenn er die Beleidigung der Ehre eines Landes als gravierender erachtete als eine Bedrohung seiner Sicherheit. Tatsächlich brauchte sich Putins Russland nie in seiner Sicherheit bedroht zu sehen. Lebows Konklusion: Die Suche nach Anerkennung und eine Mentalität der Rache, sollten auch eine Nation oder ein gefallenes Imperium sich schwer gekränkt fühlen, wurde gerade im 20. Jahrhundert eine primäre Ursache internationaler Kriege. Für Lebow lässt sich diese Ursache nun erst recht im russischen Angriff auf die Ukraine nachweisen. Der Kern von Putins Krieg mag neoimperiale Grandiosität sein, aber letztlich zutiefst Angst – die Angst des Autokraten vor einem Schwund des Thymos, seine Angst vor der Demokratie, die das Menschenrecht der Würde am besten schützt. Dem Euromaidan, der ukrainischen »Revolution der Würde«, antwortete der Kreml mit der Annexion der Krim, dann nach weiter schwelendem Revanchismus mit der Offensive gegen das Nachbarland. Auf einen freiheitsbewussten Thymos reagierte ein pathologischer Thymos mit seinen Auswüchsen der Kränkung, des Ressentiments und der Rache. Sein Januskopf richtet sich also nicht nur auf die affektive Selbstregulation; er ist zugleich das Movens in der Arena eines objektiven Zweikampfes, der in Frieden und Anerkennung mündet oder zu seinem Äußersten von Gewalt und Krieg, Terror und Vernichtung eskaliert.

LITERATUR

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[1] Der in Freuds Gesammelte Werke aufgenommenen Arbeit »Zeitgemäßes über Krieg und Tod« ging ein Vortrag voraus, den er am 16.02.1915 unter dem Titel »Wir und der Tod« vor der jüdischen Loge B’nai B’rith in Wien hielt. Die erstmalige Wiederveröffentlichung des Vortragstextes nach 75 Jahren erfolgte in der ZEIT vom 20.07.1990. Mit dem Ukraine-Krieg und dem Massaker der Hamas gegen Israel am 7.10.2023 gewinnt dieser Vortrag eine beklemmende Aktualität, in der Krieg und Tod, Trauma und Trauer die Zeitgeschichte prägen.

[2] » [Der Idealtypus] wird gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger […] vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde. […] er ist keine ›Hypothese‹, aber er will der Hypothesenbildung die Richtung weisen. Er ist nicht eine Darstellung des Wirklichen, aber er will der Darstellung eindeutige Ausdrucksmittel verleihen« (Weber 1988, S. 191, 190).